„Nie wieder. Aufstehen für die Demokratie“
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
„Nie wieder. Aufstehen für die Demokratie“ ist diese Mahnwache heute überschrieben. Ich bin überwältigt davon, dass Sie so zahlreich gekommen sind, weil Ihnen dieses Anliegen allen wichtig ist. Wir könnten auch sagen, wie es an anderen Orten formuliert wurde: Nie wieder ist jetzt, denn es geht uns um die Demokratie und die damit verbundenen Werte wie Menschenwürde und Menschenrechte. Bürgermeister Leva hat an den gestern begangenen Gedenktag für die Opfer des Holocausts erinnert: Im Wissen um unsere deutsche Geschichte und Verantwortung sind uns Demokratie und Menschenrechte wichtig.
Corona haben wir überstanden und ziemlich gut in den Griff bekommen. Heute haben wir andere Krankheiten und Viren, nicht medizinscher Art, die uns befallen: Arten des Denkens, Sprechens und Handelns, mit anderen Menschen, über andere Menschen, über unsere Gesellschaft. Diese verbreiten sich und sind ungut, weil sie unserer Gesellschaft die Grundlage entziehen, weil sie zur Vereinzelung führen und die Gemeinschaft der Menschen aus dem Blick verlieren. Eine Art Virus, das Menschen befällt und das ansteckt. Diese Bedrohung ist da heute in unserer Gesellschaft. Da droht das Miteinander vergiftet zu werden.
Die Frage: Was können wir einer solchen Bedrohung entgegensetzen? Ich bin davon überzeugt, dass wir das können. Für mich als Christ und andere religiöse Menschen geht das aus dem Glauben und den damit verbundenen Werten. Und für uns alle sind es hoffentlich die Grundwerte unserer Verfassung und die Menschenrechte in der Charta der Vereinten. Diese sind ohne das ihnen grundgelegte christlich geprägte Bild vom Menschen nicht zu verstehen. Wir als christliche Kirchen stehen uneingeschränkt ein für die Menschenrechte. Jeder Mensch hat Wert und Würde. Vor Gott und vor uns Menschen. Rassismus, Verfolgung, Ausgrenzung und Hass aufgrund von Religion, anderer Sprache, Herkunft oder was auch immer: DAS GEHT NICHT.
Wenn wir das akzeptieren, können wir doch alle, ganz gleich wo wir sind, in der Aufgabe, die wir haben, ob es im Alltag ist, in der Politik, Kirche oder sonst in der Gesellschaft: Wir alle können da unseren Beitrag dazu leisten, dass diese Viren zurückgedrängt werden, dass sie nicht die Macht über uns gewinnen. Dazu ist kein Beitrag zu klein oder zu gering.
Wie aber kann das konkret gehen? Drei Impulse möchte ich dazu anbieten, die unser Handeln bestimmen könnten. Denn mit einfachen Parolen und Lösungen wird es in unserer polarisierten Gesellschaft keinen Frieden geben. Es ist gut, dass wir uns hier und heute FÜR Demokratie und Menschenrechte einsetzen und demonstrieren, aber das wird nicht reichen. Es ist uns allen klar – hoffe ich – dass es nicht helfen wird, ein „rechtes Feindbild“ aufzubauen, damit unsere Welt schön in Ordnung bleibt. So einfach ist es nicht.
Nun also die drei Impulse:
1.) Der erste: Schauen wir hinter die Kulissen: In Begegnungen mit Menschen, suchen wir die Frage hinter der Frage, das Problem hinter dem Problem, die Geschichte hinter der Geschichte: Was ist einem Menschen widerfahren, dass er sich so oder so äußert oder verhält? Dem nachgehen und nachspüren: Wir können es vielleicht nicht akzeptieren, was er sagt oder tut, aber versuchen, das zu verstehen und nachvollziehen.
2.) Zum zweiten: Auf Aggression oder unmöglich erscheinende Aussagen nicht mit Aggression antworten, sondern den Dialog und, wenn möglich, die Beziehung zum andern suchen: Der andere Mensch ist ein Mensch. Wir dürfen fragen, was ihn bewegt und so hinter die Kulissen schauen. In den Begegnungen nicht fragen, in welche Schublade passt der, sondern: Wie kann es zu einem Gespräch kommen oder vielleicht eine Beziehung gelingen? Überlegen Sie mal für sich: Von wem lasse ich mir eher etwas sagen: Von einem Freund oder einem, der mir nicht passt? Also: Gespräch, Austausch, Beziehung anbieten: Das bringt uns eher vorwärts, selbst wenn nicht jede Beziehung gelingen kann. Das gilt selbst dann, wo wir die Meinung des anderen nicht teilen können, etwas sagen müssen, eingreifen oder andere Entscheidungen treffen müssen. Das ist kein leichter Weg.
3.) Dabei hilft uns der dritte Gedanke: Es ist wichtig, gut zu unterscheiden, also genau hinschauen: Welcher Geist ist da am Werk hinter dem, was ein Mensch oder eine Gruppierung sagt und tut?
Unterscheidungskriterien dafür sind die schon erwähnte unantastbare Würde jedes Menschen und die Menschenrechte. Diese gelten für alle, ohne Ausnahme. Das Christentum hat von Anfang an im griechisch-römischen Vielvölkerreich die Grenzen zwischen Familien, Völkern, Kulturen, zwischen Arm und Reich überwunden zugunsten eines neuen Miteinanders. Diesem Anspruch ist es später zwar oft nicht gerecht geworden, aber dieses Konzept war und kann die Grundlage eines versöhnten, friedlichen Miteinanders sein.
Wie geht es nun gut weiter? Die Situation, in der wir stehen, braucht Demokratie, braucht Menschenwürde, aber auch gute Politik und starkes gesellschaftliches Engagement. Das ist harte Arbeit, nach Wegen in die Zukunft zu suchen. Es braucht den oft mühsamen gemeinsamen Weg des Ringens um gute Entscheidung.
Es gibt viele, die Angst vor Veränderung haben. Es war doch früher so schön. Aber es gibt kein einfaches „weiter so“. Es braucht eine gesellschaftliche Debatte mit einem ehrlichen Blick auf die Realität, auf die Grenzen des Gelungenen, auf die Sorgen der Menschen und ein Ringen um echte Toleranz, die eben nicht heißt, dass „alles geht“ und alles sein darf. Nicht in der Kirche – und nicht in der Gesellschaft!
Wenn wir nicht in den gesellschaftlichen Dialog treten mit allen, die in Deutschland leben und leben wollen, WIE das zu welchen Bedingungen geht, wenn wir nicht um unser Menschenbild in Würde und Freiheit ringen, wird sich unsere Gesellschaft weiter in die vielen Subkulturen spalten und polarisieren, die es ja jetzt schon gibt.
Sich zurücklehnen und andere machen lassen, ist zu wenig. Das haben Sie erkannt. Deshalb sind Sie heute hier. Vielen Dank dafür!
Wir, die Christen und die Muslime, - ich habe vor dieser Veranstaltung mit dem hier anwesenden Iman der muslimischen DiTiB-Gemeinde Mutterstadt (Muhammed Günes) gesprochen - wir haben die Hoffnung und die dringende Bitte, dass sich viele weiter engagieren.
Stärken sie die demokratischen Parteien. Welche Partei für uns Christen nicht wählbar ist, haben die Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst und Bischof Wiesemann gestern im großen Zeitungsinterview deutlich gesagt: Nicht wählbar ist die sich immer weiter radikalisierte AfD.
Also meine und unsere Bitte: Bringen Sie sich ein! Wir müssen der Wirklichkeit unseres Landes und ALLER Menschen, ob rechts oder links, ob zugewandert, geflüchtet oder Pfälzer oder was auch immer – wir müssen die Lebenswirklichkeit, die Sorgen und Ängste, die Träume und Hoffnungen ALLER Menschen anschauen und miteinander ins Gespräch bringen.
Nie wieder ist jetzt… Nie wieder ist vor allem aber: morgen und übermorgen! Wir sind herausgefordert, miteinander zu ringen. Zu reden. Ehrlich zu sein.
Und für gläubige Menschen bedeutet das durchaus auch, um das gelingende, versöhnte Miteinander, um den guten Geist zu beten, sowie sich am Beispiel und der Botschaft Jesu Christ und dem Kern der Religionen, nämlich der Gottes- und Nächstenliebe zu orientieren! Ich lade jetzt zu einer kurzen Stille ein im Moment dieser Mahnwache. Und wer möchte kann dann das Gebet Jesu, das „Vater unser“ mitbeten für ein gelingendes Miteinander.
Das alles wird uns auf Jahre beschäftigen: Nie wieder - ist heute und morgen. Gemeinsam.
Pfarrer Michael Hergl